Lageralltag

Lageralltag

Der grausame Lageralltag, und wie unmenschlich die Häftlinge auch in den Nebenlagern des Konzentrationslagers Mauthausen ausgebeutet und behandelt wurden, wurde von Überlebenden des KZ Guntramsdorf / Wiener Neudorf, mit denen auch Vertreter des Gedenkvereins noch Interviews führen konnten, dokumentiert und kann daher heute genau belegt werden.

Die Häftlinge des KZ Guntramsdorf / Wiener Neudorf waren besonders unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen und vor allem der Willkür der Lagerwache, die aus SS und Luftwaffe bestand, ausgesetzt. 

Die medizinische Versorgung war katastrophal, es gab im Lager ständig infektiöse Krankheiten (z.B. offene TBC, Krätze etc.) und viel zu wenige sanitäre Anlagen. 

Trotz der Schwerstarbeit, die die Häftlinge verrichten mussten, war die Lebensmittelversorgung des Lagers die meiste Zeit völlig unzureichend und wurde noch dadurch verschlimmert, dass das Wachpersonal und bevorzugte Häftlinge (so gennante Funktionshäftlinge/Capos etc.) Rationen, die für die KZ-Häftlinge gedacht waren, für sich selbst oder den Schwarzmarkt abzweigten.

Ein Beispiel: Laut Aussagen eines SS-Offiziers bestand im Winter 1943/44 der gleichbleibende „Tagesspeisezettel“ pro Häftling in Guntramsdorf aus …

  • Morgens: 1/4 Liter Ersatzkaffee (kein Brot)
  • Mittags: 1/4 Liter dünne Kürbissuppe
  • Abends: 1/25 kg Brot (1 kg Brot aufgeteilt auf 25 Häftlinge = ca. eine Scheibe), 1 Kaffeelöffel Topfen, kein Getränk

Aus dem KZ-Nebenlager Guntramsdorf / Wiener Neudorf sind u. a. jene Protokolle und Dokumente erhalten, die der deutsche „Häftlingsarzt“ Rolf Busch-Waldeck, er war selbst Häftling im KZ, damals verfasst oder an sich genommen hat. Er hat sich laut eigenen Angaben zu Kriegsende dem Befehl zur Vernichtung der Unterlagen widersetzt und Aufzeichnungen aus dem Lager sowie tagebuch-ähnliche Aufzeichnungen des Todesmarsches nach dem Krieg den amerikanischen Kriegsgerichten übergeben.

Willkürliche Morde der Lagerwachen an den Häftlingen standen auch im KZ Guntramsdorf / Wiener Neudorf auf der Tagesordnung. Schon unmittelbar nach der Gründung des Lagers hat die SS-Lagerwache den erste Mord unter der Tarn-Bezeichnung „Erschießung auf der Flucht“ selbst dokumentiert, unzählige weitere folgten in den nächsten Monaten (siehe „Lageralltag„). Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge wurden vor Ort im KZ Guntramsdorf/Wr. Neudorf ermordet, in den Selbstmord getrieben, oder zurück nach Mauthausen bzw. in die Gaskammern von Hartheim transportiert.

Mehr als 200 Morde in Zusammenhang mit dem KZ Guntramsdorf/Wiener Neudorf sind bekannt. Insgesamt sind ca. 400 Personen im KZ Guntramsdorf/Wiener Neudorf ums Leben gekommen. Dazu liegen neben den Protokollen des „Häftlingsarztes“ Rolf Busch-Waldeck (** KZ-Häftling, keine Medizinausbildung/Hochstapler) auch zahlreiche SS-Leichenbeschau-Berichte vor. Sie finden Aufzeichnungen Busch-Waldecks, die mit Grundlage für Verurteilungen in den Dachauer Kriegsverbrecherprozessen waren, in der folgenden Tabelle und auch im Kapitel Todesmarsch.)

Anm.: Manche der „Waldeck-Protokolle“ zu den Morden in Wiener Neudorf sind am Ende der Dokumente mit teilweise erklärungsbedürftigen Anmerkungen zu den dazu abgehaltenen bzw. nicht abgehaltenen Prozessen versehen (* siehe unten)

20 Protokolle zu Mordfällen im KZ Guntramsdorf / Wiener Neudorf

Auszug aus dem Protokoll.pdf zum Mordfall
1)„Proksch, Hans, österreichischer Staatsbürger, 28 Jahre alt, Kaufmann, Wien, ledig, kinderlos, katholisch … wurde gezwungen sich selbst zu erhängen. …“
Hans Proksch
2)„Koslowski, Georg, polnischer Staatsbürger, 18 Jahre alt, Schlosserlehrling, kam mit dem zweiten Transport aus Mauthausen nach Wiener Neudorf … musste einen Wagen ziehen, auf dem ein leerer Sarg stand …“
Georg Koslowski
3)„Rosenträger, Hermann, deutscher Staatsbürger, 24 Jahre alt, Kaufmann, kam 1944 nach Wiener Neudorf. Nach einem Bombenangriff arbeitete Rosenträger als Aufräumungskommando. Der SS-Hundeführer Nitschke fragte ihn, ob er Jude sei. …“
Hermann Rosenträger
4)„Hergesreither, Eugen, deutscher Staatsbürger, 41 Jahre alt, Arbeiter. Hergesreither wurde im Frühjahr 1944 aus unbekannten Gründen von den Blockführern Thunke, Kaldun und Höllriegl und dem Lagerältesten Stindl verprügelt …“
Eugen Hergesreither
5)„Froschauer, Franz, Österreicher, 41 Jahre alt, Landarbeiter. Froschauer, ein schmächtiger, etwas beschränkter, aber sehr gutmütiger Mensch, war, obwohl für diesen Posten absolut ungeeignet, als Hilfscapo eingesetzt. Er wurde von der Lagerprominenz rund um Stindl gerne gehänselt. …“
Franz Froschauer
6)„Jurr, Peter, polnischer Staatsbürger, etwa 25 Jahre alt, Arbeiter. Jurr wurde im Sommer 1994 von dem Blockführer Thunke in das leere SS-Schwimmbassin geworfen. …“
Peter Jurr
7)„Bieber, Johann, polnischer Staatsbürger, 45 Jahre alt, Arbeiter.Rogalewski, Erich, polnischer Staatsbürger, 31 Jahre alt.Kowmowski, Janek, polnischer Staatsbürger, 26 Jahre alt, Masseur. Die drei Polen unternahmen im Mai 1944 einen gemeinsamen Fluchtversuch … durch die Kanalanlage des Häftlingslagers. …“
Bieber, Rogalewski, Kowmowski
8)„Frischeis, Franz, österreichischer Staatsbürger, 32 Jahre alt, Arbeiter … war als Hilfscapo, dann kurze Zeit als Lagercapo und dann als Capo eingesetzt. …“
Franz Frischeis
9)„Karoly, Istvan, angeblich tschechischer, vermutlich aber ungarischer Staatsbürger, etwa 22 Jahre alt, Techniker. …“
Istvan Karoly
10)„Tomcic, Stepan, jugoslawischer Staatsbürger, 19 Jahre alt, Arbeiter. … hat am 3. Oktober 1944 zusammen mit anderen Häftlingen im Häftlingslager Erdäpfelsäcke in den Kartoffelbunker 2 getragen. …“
Stepan Tomcic
11)„Schreiner, Lutz, deutscher Staatsbürger, 25 Jahre alt, Kaufmann. Schreiner war ein auffallend hübscher, hochgewachsener junger Mann, war in Neudorf zuerst als Blockältester auf Block 6 eingesetzt. Er wurde vom Lagerältesten …. eifrig umworben. …“
Lutz Schreiner
12)„Leckebusch, Walter, deutscher Staatsbürger, 48 Jahre alt, Installateur. Leckebusch war ein schwieriger Häftling. Seine Empörung über das KZ und die SS war so groß, dass er immer und überall revoltierte …“
Walter Leckebusch
13)„Mirkovic, Paul, jugoslavischer Staatsbürger, 22 Jahre alt, Landarbeiter … als er sich in Pause zwischen zwei Transportfuhren erschöpft neben dem Transportkarren niedersetzte, schlug der Capo Faas so lange auf ihn ein …“
Paul Mirkovic
14)„Smirtic, Bohuslav, jugoslavischer Staatsangehöriger, 42 Jahre alt, Gärtner. … war im Aussenkommando Relle u. Neffe eingesetzt. Im Oktober 1943 wurde er auf der Arbeitsstelle vom Capo Heckner wegen zu geringer Arbeitsleistung verprügelt und wegen Faulheit zur Bestrafung gemeldet. …“
Bohuslav Smirtic
15)„Potocki, Anton, polnischer Staatsangehöriger, 32 Jahre alt, Landarbeiter … wegen Landesverrates und Spionage … verurteilt. Der SS-Scharführer riss ihm … außerhalb des Lagertores ohne ersichtlichen Grund die Mütze vom Kopf, schleuderte sie weit weg und befahl dem Häftling die Mütze zu holen …“
Anton Potocki
16)„Büttner, Walter, deutscher Staatsangehöriger, geb. 1901, Arbeiter, Witwer, kinderlos. Büttner ist nicht ermordet worden, sondern hat Selbstmord begangen. …“
Walter Büttner
17)„Krausch, Willy, holländischer Staatsbürger, 40 Jahre alt, Bergmann (Fremdarbeiter) in Gelsenkirchen, ledig, kinderlos, evangelisch, … aus dem 1. Schlafraum der Baracke von Block 2 geholt …“
Willy Krausch
18)„Baranov, Alex, geb. 24.8.1910 zu Kiew, Beruf: Schlosser, Stand: ledig, Kinder: keine. Am 7.6.1944 … habe ich die Leiche des auf der Flucht erschossenen Häftlings … besichtigt. …. Die Leiche weist 14 Schussverletzungen auf. …“
Alex Baranov
19)„Smirnow, Iwan, Arzt, keine Personalien. Am 7.6.1944 … habe ich die Leiche des auf der Flucht erschossenen Häftlings … besichtigt. …. Die Leiche weist 4 Schussverletzungen auf. … 1. Einschussöffnung … in der Mitte der Stirn …“
Iwan Smirnow
20)Flucht aus Halle 9, die detaillierte Vorgeschichte zu den Morden anAlex Baranov (Prot. 18) und Iwan Smirnow (Prot. 19) und sieben weiteren Häftlingen. (pdf mit 13 Seiten, ca. 900k)
„Am 5. Juni 1944 bemerkte der Capo Erich Pfeiffer das Fehlen von zwei russischen Transportarbeitern, und zwar des 34-jährigen Schlossers Alexander Baranow und des Arztes Iwan Smirnow. Unter dem Kommando des Oberfeldwebels Otto Schrader durchsuchten die Luftwaffensoldaten erfolglos die Halle. Die alarmierten SS-Hundeführer stürzten in die Halle und schlugen rücksichtslos auf die Gefangenen ein. Sie erschlugen 7 Häftlinge und verletzten 21 weitere zum Teil schwer. …“

Flucht aus Halle 9

*Hinweis zu den Protokollen: Von den US-Militärgerichten wurden nach dem Krieg in den „Dachauer Prozessen“ nur jene Morde gerichtlich geahndet, die den Holocaust (den Völkermord an den Juden) oder KZ-Häftlinge betrafen, die NICHT deutsche oder österreichische Staatsbürger waren.

Willkürliche Morde der Wachmannschaften an deutschen und österreichischen Häftlingen, wie sie z. B. im KZ Guntramsdorf/Wiener Neudorf (wie von „Busch-Waldeck“ oben beschrieben) in großer Zahl stattfanden, fielen nach dem Krieg nicht in die Kompetenz der alliierten Gerichte sondern in die Zuständigkeit der deutschen bzw. österreichischen Gerichte, da es sich bei Verbrechen gegen eigene Staatsbürger, nicht um Kriegsverbrechen im rechtlichen Sinne handelte.

In diesem Zusammenhang sind auch die heute teilweise missverständlichen Anmerkungen am Ende einiger der oben genannten Protokolle Busch-Waldecks, wie z.B. „nicht verhandelt, weil kein Jude“„nicht verhandelt, weil österreichischer/deutscher Staatsbürger“, zu verstehen. Er bezieht sich damit auf die Ergebnisse der so genannten „Wiener Neudorfer Prozesse“ (sieheProzesse) in Dachau.

** Hinweis und Lesetipp: Neuere Forschungsarbeiten (vgl. Zeuge Waldeck: Das erfundene Leben des Rolf vom Busch, 2019, Stadtarchiv Remscheid / Meike / Baldy), zeichnen ein ambivalentes Bild, vor allem über „Busch-Waldecks“ Leben vor und nach dem KZ-Inhaftierung in Mauthausen und Wiener Neudorf.

Rolf vom Busch, so war sein echter Name, dürfte nach aktuellen Forschungsergebnissen (Meike/Baldy, 2019) vor seiner KZ-Inhaftierung sogar einen Mord zu verantworten gehabt haben und beinahe lebenslang als Hochstapler seine Identität beschönigt und verschleiert haben. Er lebte nach dem 2. Weltkrieg, von den Wiener Behörden unbehelligt, mit erfundenen Adelstiteln und nie erworbenen akademischen Graden bis 1971 in Wien, wo er nach Eigenangaben zeitweilig als Dolmetscher, aber – da ohne jede medizinische Ausbildung – niemals als Arzt tätig war.

Während die Totenbeschau-Protokolle und die damit verbundenen Mordfälle an KZ-Häftlingen aus dem KZ-Außenlager Guntramsdorf/Wiener Neudorf auch durch Gerichtsakten (Dachauer Prozesse etc.) historisch und auch durch andere Quellen als „Busch-Waldeck“ bestätigt sind, müssen die tagebuchähnlichen „Waldeck-Protokolle“ des Todesmarsches nach Mauthausen – nicht in ihrer Gesamtheit, aber jedenfalls bei Beschreibungen einzelner Details und der Eigendarstellung von „Busch-Waldeck“ selbst – weiter beforscht und kritisch hinterfragt werden.

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